08.01.2020

Buick LeSabre – Das verrückteste Concept Car der 50er?

Natürlich wollte General Motors nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Düsenjäger bauen, aber das Concept Car Buick LeSabre erweckte bei seiner Präsentation im Jahr 1951 zumindest den Eindruck, ein Jet auf vier Rädern zu sein. Anklänge an das amerikanische Kampfflugzeug F-86 „Sabre“ waren nicht zufällig. Zwar kam das extravagante Aussehen des wohl wichtigsten Concept Cars der 1950er-Jahre in dieser Form nicht zur Marktreife, es hat dem Automobildesign der frühen Nachkriegszeit aber bedeutende Impulse gegeben.

Ein Auto wie aus einem Traum

Die Düsenjägeroptik des Concept Cars LeSabre war für die 1950er-Jahre nicht nur ungewöhnlich. Sie war mindestens atemberaubend, wenn nicht verrückt. Die Form der Karosserie schien nicht entworfen, sondern erträumt worden zu sein: ein Dreamcar. Konzeptstudien waren bis dato bei ihrer Präsentation bereits nah am marktreifen Produkt und zeigten, was der Kunde in etwa als späteres Auto erwarten konnte. Ganz anders kam die neue GM-Studie daher. Sie schwebte fernab aller vom Markt gegebenen Realitäten. Ihr einziger Zweck war es, auszutesten, was technisch möglich ist, und die Kompetenz und den Erfindungsreichtum der eigenen Ingenieure zu dokumentieren. Und so wurden General Motors und vor allem die Marke Buick durch den LeSabre in der Nachkriegszeit sehr populär. In Sachen Design und technischer Innovation war man „State of the Art“ nachdem GM schon 1938 mit dem stromlinienförmigen Roadster „Y-Job“ als erstem Konzeptfahrzeug der Automobilgeschichte Aufsehen erregt hatte. Erst später wurde Buick zur „Altherrenmarke“ im GM-Konzern degradiert.

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Das wohl ungewöhnlichste Design der 1950er-Jahre: Der Buick LeSabre.

Flacher und sportlicher als die Konkurrenz

GM hatte Anfang der 1950er-Jahre zwei Prototypen geschaffen, in denen einfach alles umgesetzt wurde, was seine Ingenieure und Techniker sich ausdenken konnten. Mit den Studien XP-8 und XP-9 entstanden zwei futuristische Fahrzeuge, die von GM-Chefdesigner Harley Earl und GM-Entwicklungsleiter Charles Chayne gefahren wurden. Der XP-8 war das gewagerte Modell. Earl taufte es auf den Namen „LeSabre“ und fuhr es wie schon zuvor das Concept Car „Y-Job“ als Alltagsauto. Seine Vorstellungen zum Aussehen des LeSabre hatte seine Mitarbeiter fast zur Verzweiflung gebracht. Der Wagen sollte sportlicher aussehen und flacher sein als alles, was in Amerika zu kaufen war.

Der LeSabre hat die erste Panorama-Frontscheibe, die jemals gebaut wurde. Es brauchte vier Jahre Entwicklungsarbeit, bis der Zulieferer Libby-Owens das Glas ohne Risse oder Brüche in diese Form biegen konnte. Darüber hinaus verfügt der offene Zweisitzer über ein elektrisches, über einen Regensensor gesteuertes Stoffverdeck, das bei Regen automatisch schließt. Die Karosserie ist kompromissloser Leichtbau. Der Sandwichboden und die Bleche bestehen aus Aluminium, die Türsäulen, der Kofferraumdeckel, die Spritzwand und der Windlauf aus Magnesiumguss. Die dem namengebenden Düsenjet nachempfundene Front hat einen auf Knopfdruck um 180 Grad drehbaren Kühlergrill mit dahinter liegendem Scheinwerferpaar. Auch die Heckpartie ist ähnlich effektvoll gestaltet. Ein verchromtes, zentral angeordnetes Rücklicht erinnert an die Schubdüse eines Jets und zwei imposante Heckflossen wirken wie Seitenleitwerke eines Flugzeugs.

Hinter der Optik steht auch die Motorisierung nicht zurück. Unter der äußerst flachen Motorhaube werkelt ein 3,5-Liter-V8-Aggregat aus Aluminium, das im Vergleich zur Serientechnik der 1950er-Jahre eher in den Motorsport gehört. Die Zylinderköpfe und der Motorblock sind bei der Aluminium Company of America (Alcoa) gegossen worden. Die Kolben laufen in nassen Laufbuchsen aus Sphäroguss. Über halbkugelförmigen Brennräumen sind die Ein- und Auslassventile in einem Winkel von 90° angebracht. Doch damit nicht genug, denn dieser technische Leckerbissen fährt nicht mit Benzin allein. Im Normalbetrieb verbrennt der Motor herkömmliches Benzin im Saugmodus. Wenn man das Gaspedal durchtritt öffnet ein zweiter Vergaser und bringt Methanol aus einem separaten Tank in den Verbrennungsprozess ein. Bei Vollgas wird schließlich ein vor dem Ansaugtrakt eingebauter Kompressor zugeschaltet. Damit kommt der LeSabre auf brachiale 335 SAE-PS, die über eine Kardanwelle auf die De-Dion-Hinterachse übertragen werden. Geschaltet wird über eine im Transaxle-Prinzip mit dem Differential an der Hinterachse gekoppelte Dynaflow-Automatik, die später durch eine Vierstufen-Hydramatic ersetzt wurde.

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Der Buick LeSabre im General Motors Heritage Center in Sterling Heights.

Wenig ist geblieben

Mehr als 45.000 Meilen fuhr Harley Earl in seinem vierrädrigen Düsenjäger. Dabei stand ihm ein speziell für dieses Auto ausgebildeter Mechaniker zur Seite. Im Alltagsbetrieb auftretende Defekte wurden zur Modifikation und Weiterentwicklung ausgewertet. So bekamen beispielsweise die geschlossenen hinteren Kotflügel Radausschnitte und an der Front wurden Luftschächte zur Kühlung der Bremsen und zur Motorraumentlüftung ergänzt.

Als Ende 1958 schließlich ein Serienfahrzeug mit der Modellbezeichnung „LeSabre“ auf den Markt kam, ist vom futuristischen Design der Konzeptstudie leider kaum etwas übrig geblieben. Zwar ist es heute ein beliebter Oldtimer und hat eine durchaus ansprechende Front mit schräg gestellten Doppelscheinwerfern und einer flachen Motorhaube, aber der an den Lufteinlass erinnernde Kühlergrill und die „Düse“ am Heck waren verschwunden. Das Interieur ist konventionell gestaltet und hat wenig mit dem an Bedienelementen und Anzeigen überladenen Cockpit des Concept Cars gemein. 1961 wurde die Optik des Autos noch weiter entschärft. Die Heckflossen entfielen komplett und die Doppelscheinwerfer wurden zunächst nebeneinander angeordnet, später in den Kühlergrill integriert.

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Immer noch schön, aber nicht mehr so gewagt: Die erste Generation des Serienmodells.

Einige seiner Innovationen hat der Buick LeSabre aber doch an andere GM-Modelle vererbt. Die Panoramascheibe ging 1953 bei Cadillac und ein Jahr später bei Buick in Serie, die zweifarbige Flanke mit bogenförmiger Chromleiste tauchte 1956 bei der Chevrolet Corvette wieder auf. Und die Heckflossen? Die hatte Harley Earl schon Ende der 1940er-Jahre bei Cadillac eingeführt. Spätestens mit dem Concept Car LeSabre haben sie sich als „Common Style“ der 1950er-Jahre im amerikanischen Automobilbau durchgesetzt.

Acht LeSabre-Generationen später verschwand der Modellname endgültig im Jahr 2005. Von der atemberaubenden Designsprache des wohl verrücktesten Concept Cars der 1950er-Jahre ist allerdings in den späteren Generationen nichts übrig geblieben. Das Original steht heute als Oldtimer im General Motors Heritage Center in Sterling Heights im US-Bundesstaat Michigan.