20.09.2019

Der Maserati Khamsin – ein unterschätzter Klassiker

Die frühen 1970er-Jahre stehen für Mittelmotorsportwagen. Doch auch für Liebhaber klassischer Coupés mit Frontmotor gab es zu dieser Zeit mit dem Maserati Khamsin eine sportliche Fortbewegungsmöglichkeit. Das Auto fristet heute neben anderen Maserati-Klassikern eher ein Schattendasein, darf aber aufgrund seiner Technik und seines außergewöhnlichen Designs als ganz besonderer Oldtimer und als der wohl am meisten unterschätzte Maserati angesehen werden.

Ein frischer (Wüsten-) Wind muss her

Anfang der 1970er-Jahre war der seit 1966 gebaute, nach einem Saharawind benannte Maserati Ghibli das Flaggschiff des Autobauers aus dem italienischen Modena: Ein Sportcoupé mit Hinterradantrieb und einem unter einer langen Motorhaube vor der Fahrgastzelle platzierten V8-Frontmotor – dem legendären Rennsportaggregat, das bereits 1959 mit dem Maserati 5000 GT auf die Straße gefunden hatte. Ein Jahr nach Einführung des Ghibli stieg Citroën bei Maserati ein und schwenkte, dem Zeitgeist folgend, auf das Mittelmotorkonzept um. Die Konkurrenz von Lamborghini und Ferrari hatte es mit dem Miura, dem Urraco und dem Dino 246 vorgemacht und Maserati reagierte mit den Modellen Bora und Merak mit V8- beziehungsweise V6-Mittelmotoren. Aber die traditionelle Maserati-Kundschaft ließ sich nicht vollends von der neuen Motorenanordnung überzeugen. Da der Ghibli zudem mittlerweile etwas angestaubt war, musste ein frischer Wind mit Frontmotor her. 1971 entschieden die Verantwortlichen bei Maserati daher, ein neues V8-Frontmotorcoupé unter Verwendung möglichst vieler Citroën-Komponenten zu verwirklichen. Unter der technischen Leitung von Maserati-Chefingenieur Giulio Alfieri entstand der nach dem arabischen Wüstenwind Chamsin benannte Khamsin (werksintern: Tipo AM120) als neues Spitzenmodell der Traditionsmarke mit dem Dreizack.

 Khamsin von Maserati
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Die Keilform in Vollendung: der Khamsin von Maserati. 

Ein keilförmiger Aha-Effekt

Das neue Auto wurde 1972 zunächst auf dem Turiner Autosalon als Prototyp vorgestellt, der allerdings mit dem späteren Serienmodell beinahe identisch war. Im März 1973 hatte das Serienmodell Premiere, das noch Ende des Jahres in Produktion gehen sollte. Der neue Wüstenwind hat eine 4,40 m lange selbsttragende Stahlkarosserie, die von in Turin von Design-Legende Marcello Gandini bei Bertone entworfen worden war. Gandini hatte bereits mit Konzeptfahrzeugen wie dem Alfa Romeo Carabo oder mit dem Supersportwagen Lamborghini Miura gezeigt, dass er außergewöhnliche Autos gestalten kann. Nun zeichnete er erstmals für die Karosserie eines Maserati verantwortlich.

Heck des Khamsin von Maserati
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Freier Blick in den Kofferraum – die Rücklichter scheinen zu schweben.

Gandinis Entwurf sorgte für Aufruhr in der Fachpresse. Das Design wurde von „zeitgemäß“ über „außergewöhnlich“ bis hin zu „einzigartig“ gefeiert und als „gestalterisches Juwel“ gepriesen. Er hatte ein zweitüriges Sportcoupé mit einer dynamischen Keilform entworfen. Die Silhouette des Autos läuft von einer spitzen Frontpartie mit Klappscheinwerfern und sehr langer Motorhaube über eine kontinuierlich ansteigende Schulterlinie bis zu einem kantig abreißenden Heck zu. Die Heckscheibe ist zugleich Kofferraumklappe und das senkrechte Heck ist ebenfalls verglast und bietet freie Sicht in den Kofferraum. In die Glasfläche sind die Rücklichter eingelassen. Gandini griff damit ein Element des von ihm entworfenen Lamborghini Espada und dessen Prototyp Marzal auf. Bei nur knapp 1,17 m Höhe kam die Keilform des Autos ausgezeichnet zur Geltung. Zusammen mit einer filigranen A-Säule und den Glaspartien am Heck wirkt der Khamsin leicht und luftig und hebt sich deutlich von seinen Vorgängern und der Konkurrenz ab. Der ebenfalls von Gandini entworfene Lamborghini Countach ist mit seinem geschlossenen Heck viel wuchtiger. Für den US-Markt musste man allerdings eine recht unschöne Modifikation der Rücklichter vornehmen und diese unter die Glasfläche auf das Blech setzen. Zusammen mit den nach US-Sicherheitsbestimmungen notwendigen voluminösen Stoßstangen passen sie nicht wirklich ins Design.

 Khamsin von Maserati in der US-Ausführung
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Das für die US-Version veränderte Heck ist eher hübsch-hässlich.

Der Khamsin war als Zweisitzer mit zwei weiteren, allerdings mangels Kopf- und Beinfreiheit kaum nutzbaren Notsitzen ausgestattet. Der helle und für den Fahrer durchaus ergonomisch durchdacht aufgebaute Innenraum wurde seinerzeit als weniger gelungen empfunden. Dem etwas lieblos gestalteten Cockpit fehlt die Eleganz des Äußeren. Neben der Verarbeitungsqualität wurden vor allem fehlende Ablagen und billig wirkende Schalter kritisiert.

Innenraum des Khamsin von Maserati
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Innen weniger schön als außen, so dachten zumindest viele Zeitgenossen.

Über jeden Zweifel erhaben

Fahrtechnisch kommt der Khamsin sehr modern daher und gleicht die Kritik am Interieur locker wieder aus. Das Fahrwerk wurde neu konstruiert und im Vergleich zum Vorgänger Ghibli deutlich verbessert. Anstelle einer starren Hinterachse hat die Neukonstruktion hinten wie vorne Doppelquerlenker und Schraubenfedern. Vieles kam von Citroën, beispielsweise die geschwindigkeitsabhängige Servolenkung aus dem SM. Zu den Citroën-Komponenten gehört auch eine Hochdruckhydraulik, über die Bremsen, Kupplung, der Klappmechanismus der Scheinwerfer und sogar die Sitzverstellung betrieben werden. Das war seinerzeit nicht jedermanns Sache, denn das Bremsen mit dieser Hochdruckanlage will vorsichtig angegangen werden. Auch die Lenkung war vielen Fahrern zu leichtgängig und direkt, ihr selbsttätiges Rückstellmoment gewöhnungsbedürftig. Neben dem serienmäßigen Fünfganggetriebe konnte man auch eine Automatik mit drei Gängen ordern.

Motor des Khamsin von Maserati
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Der V8, den Maserati auch im Khamsin verbaut hat, ist eine Motorenlegende. 

Hinter der Vorderachse sitzt der legendäre 4,9-Liter-Leichtmetall-V8-Motor von Maserati mit vier Weber-Fallstrom-Doppelvergasern, der mit 320 PS bei 5.500 U/min etwas weniger Leistung liefert, als im Ghibli. Der Klang ist trotzdem atemberaubend. Seine Position gewährleistet eine nahezu ausgewogene Gewichtsverteilung auf Vorder- und Hinterachse und brachte das 1.690 kg schwere Auto 1978 im Test der Zeitschrift „Auto Motor und Sport“ auf 272,7 Stundenkilometer. Damit machte er im Test gegen Sportwagengrößen wie Aston Martin Vantage, Lamborghini Countach, Porsche Turbo oder Ferrari BB512 auf jeden Fall eine gute Figur. Nach Werksangaben sollte der Khamsin mit 275 Stundenkilometern sogar noch etwas schneller sein. Von 0 auf 100 beschleunigt der Khamsin in 6,6 Sekunden.

Schwere Zeiten für einen Supersportwagen

Der Khamsin kam eigentlich zur Unzeit. Zwar musste Maserati dringend einen Ghibli-Nachfolger präsentieren, um sich gegen die Konkurrenz von Lamborghini und Ferrari zu behaupten, aber die wirtschaftlichen Umstände mit der Ölkrise waren für solche Pläne eher schlecht. Maseratis Mehrheitseigner Citroën hatte selbst Probleme und zog sich 1975 zurück. Spritfressende und in der Anschaffung teure Supersportwagen – der Khamsin hat einen Durchschnittsverbrauch von 23,9 Litern und kostete bei Markteinführung 85.000,- DM – waren nicht unbedingt zeitgemäß. So kam es, dass Maserati im Mai 1975 schließlich insolvent war, nachdem man im Vorjahr fünf Millionen US-Dollar Verlust eingefahren hatte. Nur eine Intervention des italienischen Staates und die Übernahme durch Alejandro de Tomaso retteten die Autos mit dem Dreizack vor dem endgültigen Aus.

Eine Fahrt mit dem Khamsin, was kann schöner sein?

Ein fast in Vergessenheit geratener Klassiker

Der Maserati Khamsin mit seiner keilförmig gestreckten Silhouette und langen Motorhaube war die ideale Plattform für den Maserati-V8 als Frontmotor und funktionierte auch in der „Mittelmotorzeit“ der 1970er-Jahre bestens. Er ist heute ein unterschätzter und unbekannter Klassiker, der unter den anderen klangvollen Namen im Maserati-Programm leider etwas untergeht. Bis 1982 erblickten nur etwas mehr als 400 Stück das Licht der Welt, übrigens bis zum Ende mit Citroën-Teilen. Die Angaben schwanken zwischen 417 und 435 Einheiten. Damit wurden weit weniger Autos verkauft als geplant.

Das mag ein Grund für sein Schattendasein sein. Die Mittelmotormodelle Bora und Merak kamen auf 571 beziehungsweise 1830 Einheiten, vom Maserati Mistral wurden 952, vom Indy sogar 1104 Stück gebaut. Nicht zuletzt wirft der Ghibli, der vielfach als einer der schönsten Sportwagen aller Zeiten bezeichnet wird, einen langen Schatten auf den Khamsin. Aber verstecken muss sich der zeitlos schöne Oldtimer hinter seinen Markenbrüdern wirklich nicht.

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Was kostet ein Maserati Khamsin? 

Für einen Maserati Khamsin in sehr gutem Zustand und nachvollziehbarer Fahrzeughistorie bezahlt man ab 140.000 € aufwärts – wenn man überhaupt jemanden findet, der so ein Auto verkaufen möchte.