17.07.2019

Sommerklassiker Teil 1: Renault 4 Plein Air

Die 68er waren eine wilde Zeit. Studentenbewegungen und Hippies stellen die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft in Frage und protestieren gegen das Establishment. In der westlichen Welt entsteht eine neue, von alten Zwängen und Tabus befreite Gesellschaft. Und mittendrin bricht auch der französische Autokonzern Renault mit Althergebrachtem und macht aus dem Renault 4 ein Cabrio.

Am Strand braucht man nur ein Handtuch – automobiler Minimalismus

Der kleine, im Jahr 1961 eingeführte Renault 4 war von Beginn an beliebt. Durch einen geringen Einstiegspreis und seine robuste Technik schonte er nicht nur den Geldbeutel von Studenten und jungen Familien. Auch bei der französischen Gendarmerie und der spanischen Guardia Civil versah er bis in die 1990er-Jahre als Streifenwagen seinen Dienst. Wenn es überhaupt etwas zu bemängeln gab, dann war es sein ausgeprägter Hang zum Durchrosten. Nach heutigen Maßstäben ist das Auto technisch und ausstattungsmäßig sicher ein Minimalist. Doch oft ist weniger mehr. Und dass immer noch ein bisschen weniger geht und es trotzdem gut sein kann, zeigte der französische Autobauer 1968 mit dem Renault 4 Plein Air. Der Name sagt dabei schon ganz deutlich, dass es sich um ein reines Sommerauto handelt: Kein Dach, keine Fenster und keine Türen. Der luftige kleine Franzose mit der tief ausgeschnittenen Karosserie ist im letzten Jahr 50 geworden. Grund genug, ihm den ersten Teil unserer neuen Serie „Sommerklassiker“ zu widmen. Bis zum Herbst stellen wir hier Oldtimer vor, die für die Sommer, Sonne, Strand und mehr gemacht sind, die ihre Zeit geprägt und heute als automobile Klassiker eine große Fangemeinde haben.

Zwanzig der kleinen Freiluftautos von Renault erregten bereits 1967 bei der Weltausstellung in Montreal in Kanada als Shuttlefahrzeuge Aufsehen. Sie demonstrierten Minimalismus pur gegenüber den großen amerikanischen Straßenkreuzern, die sonst das automobile Stadtbild dieser Zeit beherrschten. Renaults Cabrio ohne Dach traf dabei genau den Zeitgeist und bediente das Bedürfnis der Flower Power-Generation nach Freiheit und Selbstverwirklichung. Der kleine, nur 3,56 m lange Wagen ist der ideale Strandbuggy. Gemeinsam mit dem Citroën Méhari kamen in Frankreich 1968 fast zeitgleich zwei Autos auf den Markt, die dieses Segment nicht nur besetzen, sondern es regelrecht erschufen. Nach Aufnahme der Serienproduktion fand der Plein Air schnell seine Liebhaber – nicht nur in Europa, sondern auch in Übersee. Auf dem amerikanischen Kontinent schaffte er es bis nach Kanada, in die Vereinigten Staaten und nach Mexiko. In Europa konnte man ihn unter anderem in Finnland, in den Niederlanden und in Großbritannien kaufen. Im Gegensatz zu seinem heimischen Konkurrenten Méhari war er auch in Deutschland erhältlich.

Kein Werkscabrio, sondern ein Umbau mit der Flex

Renault fertigte sein neues Spaßmobil allerdings nicht selbst, sondern ließ dafür den französischen Umbauspezialisten Sinpar Hand an das Auto legen. Der Renault 4 war dort ein alter Bekannter. Bereits ab Oktober 1962 hatte Sinpar Typ 4L-Modelle auf Allrad getrimmt. Um aus einem serienmäßigen Renault 4 einen Plein Air zu machen, entfernte man einfach die Türen und das Dach. Letzteres wurde tatsächlich von der geschlossenen Karosserie abgetrennt, eine spezielle Cabrio-Rohkarosserie von Renault gab es nicht. Zudem mussten die vorderen Sitze einer durchgehenden Sitzbank weichen. An den Seiten sollten anstelle der ursprünglichen Türen kunststoffummantelte Ketten ein Herausfallen des Fahrers oder der Passagiere verhindern. Den meisten Besitzern gefiel sie aber wohl nicht, denn sie wurde häufig vollständig ausgehängt. Für schlechtes Wetter hatte man dem Cabrio noch ein sehr simpel gehaltenes Verdeck aus einer einfachen Lage Segeltuch mitgegeben. Allerdings eignet es sich bestenfalls als Sonnenschutz. Gegen Regen und Wind ist es nahezu wirkungslos. Mit einem Gestänge ähnlich dem eines Sonnenschirms erfordert das Ausklappen zudem etwas Geduld und Geschicklichkeit. Aber wer braucht an der Côte d’Azur schon ein Verdeck? Der Renault 4 Plein Air ist schließlich ein Strandgefährte für den Sommer. Niemand würde damit ernsthaft im Winter fahren wollen.

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Dach ab und ein Blech über die Flexkanten: So einfach geht 1968 Cabrio bei Renault.

Im Werbefilm klappt es auch mit dem Verdeck …

Damit ist eigentlich schon fast alles zum Cabrio-Umbau gesagt. Seltsamerweise gab es das Auto nur in Weiß, optisch aufgewertet durch einen Dekorstreifen mit dem Schriftzug „Plein Air“. Unterhalb der Gürtellinie ist der Plein Air ein ganz normaler Renault 4. Den für den Typ 4L entwickelten Allradantrieb hat Sinpar nicht in den Freiluft-Renault übernommen. Aber mit dem serienmäßigen Frontantrieb kommt der leichte Wagen ohnehin gut zurecht. Unter der Haube werkelt der 26 PS starke 845-Kubikzentimeter-Motor, der auch im „normalen“ Renault 4 für den Vortrieb sorgt.

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Die ausgefallene Farbe ist definitiv keine Originallackierung, denn der „Plein Air“ Schriftzug an der Seite fehlt.

Nur gut 500 Stück

Bis zum Produktionsende im Jahr 1971 erreicht der französische Sommerklassiker lediglich 563 Einheiten. Dann wird der durch den seit 1970 erhältlichen Rodéo abgelöst, der die Tradition des Strandbuggys auf Renault 4-Fahrgestell in verschiedenen Versionen und zuletzt auf der Bodengruppe des Renault 6 bis 1987 fortsetzt. Seine eckige Kunststoffkarosserie erinnert dabei eher an den erfolgreicheren Plein Air-Kontrahenten Citroën Méhari als an seinen Vorgänger.

Neben den offiziellen Plein Air-Cabrios von Sinpar gibt es aber noch eine Reihe von privaten Umbauten unter Verwendung von Renault-Ersatzteilen und einige, zum Teil nur regional angebotene Kleinserien, die in die offizielle Stückzahl nicht eingerechnet sind. Dazu gehört beispielsweise der von der Kölner Firma Renault Uckermann bis Anfang der 1980er-Jahre vertriebene und mit dem mittlerweile auf 34 PS erstarkten Motor ausgestattete Renault 4 Plaisir. Er war zusätzlich auch in Rot und gegen Aufpreis in weiteren Renault-Farben erhältlich. Ende der 1980er-Jahre lieferte Car Systeme Style in Frankreich mit dem JP4 eine Bausatzversion mit gekürztem Fahrwerk, Kunststoffschwellern an den Seiten und den Kotflügeln, zwei Schalensitzen und einem Überrollbügel, der in Italien auch als Renault 4 Frog vertrieben wurde.

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Der JP4-Umbau hat anstelle des „Plein Air“ ein „JP4“ im Dekorstreifen und auf der Motorhaube. Am Kotflügel gibt sich Car Systeme Style als Urheber dieser Renault 4-Version zu erkennen.

Unter den insgesamt über 8 Millionen produzierten Renault 4 ist die Freiluft-Version mit ihrer geringen Stückzahl eine absolute Rarität und als Oldtimer heute sehr gefragt. Die Bausatzversionen Plaisir und JP4 beziehungsweise Frog dürften wohl noch seltener sein als das ursprüngliche Sinpar-Modell.