16.03.2020

BMW Isetta – wie die Knutschkugel Deutschland eroberte

Wie passt ein nur 2,28 m langes eiförmiges Gefährt zur Marke BMW? Auf jeden Fall gut, wie der bayrische Autobauer in den 1950er-Jahren mit der BMW Isetta zeigte. Das gilt auch heute noch, denn als Oldtimer hat die Isetta definitiv Kultstatus und besitzt eine große Fangemeinde. Diesen wohl ungewöhnlichsten BMW, der den liebevollen Beinamen „Knutschkugel“ trägt, wollen wir heute näher vorstellen.

Problematischer Neubeginn

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte BMW 1948 zunächst angefangen, wieder Motorräder zu bauen. Ab 1952 war man auch als Autobauer zurück am Markt. Finanziell rechnete sich das Nachkriegsgeschäft aber kaum. Mit den ab 1952 bzw. 1954 angebotenen Oberklasse-Modellen 501 und 502, besser bekannt als „Barockengel“, konnte BMW zwar wieder Autos verkaufen, aber ein Einstiegspreis von 15.000,- DM für einen 501 war für die breite Masse unerschwinglich. Darüber hinaus deckte der Verkaufspreis nicht die Produktionskosten. Das war ein großes Problem für BMW. Das PKW-Werk in Eisenach lag unerreichbar in der DDR und in München, wo man vorwiegend Motorrad- und Flugzeugmotoren produziert hatte, musste man nach Kriegszerstörungen und Demontage der Maschinen komplett neu anfangen. Das kostete Geld, das man mit Luxuslimousinen zu dieser Zeit nicht verdienen konnte.

So war den Verantwortlichen schnell klar, dass BMW als Automarke das endgültige Aus drohte. Nachdem man sich 1951 noch gesträubt hatte, den Prototypen BMW 531 als Kleinwagen in Serie zu produzieren, war es jetzt für eine weitere Neuentwicklung schon zu spät. BMW musste ein Auto finden, dass in Lizenz produziert werden konnte und eine breite Käuferschaft interessieren würde.

BMW Isetta
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Mit der Isetta gelang BMW der Weg zurück zum Erfolg.

Da Kleinstwagen und Rollermobile nicht nur groß in Mode, sondern auch günstig zu produzieren waren, fiel die Wahl der Münchener auf ein Fahrzeug aus diesem Segment. Der Mailänder Kälteanlagen- und Motorradhersteller Iso Rivolta baute zu dieser Zeit mit der Iso Isetta ein eiförmiges Gefährt mit Fronttür, einem Kühlschrank nicht unähnlich. BMW nannte das Konzept „Motocoupé“ und behielt den Namen Isetta bei.

Mit kleinen Änderungen zum Erfolg

Im Frühjahr 1955 begann BMW mit der Produktion seiner eigenen Isetta. Statt eines Zweitaktmotors wie beim italienischen Vorbild verbaute man den bewährten Viertelliter-Einzylinder-Viertakter aus der BMW R25. Das Motorradaggregat war mit 12 PS stark genug, das leer nur 370 kg schwere Fahrzeug anzutreiben. Ab 2580,- DM war eine Isetta 250 zu haben. Ende des Jahres kam mit der Isetta 300 eine hubraumstärkere Version mit einem PS mehr Leistung hinzu.

BMW Isetta 300
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Die erste Generation der Isetta erkennt man an den Dreiecksfenstern.

Nicht nur die Fachpresse war bei der Präsentation des Autos am 5. März 1955 begeistert. Auch bei der Kundschaft schlug das ungewöhnliche Gefährt ein. BMW hatte bewusst auf eine breite Käuferschaft abgezielt und präsentierte die Isetta in einem Werbefilm als ideales Alltagsfahrzeug sowohl für Arbeiter und Angestellte als auch für Geschäftsleute. Die geringen Abmessungen wurden als Vorteil bei der Parkplatzsuche herausgestellt, ohne zu vergessen, dem Innenraum gleichzeitig eine komfortable Größe zu bescheinigen. Nicht zuletzt sprach der Werbefilm die Italiensehnsucht deutscher Urlauber in der Wirtschaftswunderzeit an. Bereits im ersten Jahr konnte man mehr als 10.000 Fahrzeuge verkaufen. Dass die im Film dargestellte Reise einer Familie mit einer Isetta tatsächlich problemlos möglich war, bewies der bekannte Motorjournalist Fritz B. Busch, der diese Reise in einer Isetta 300 zusammen mit Frau und Tochter von Hamburg aus ohne Zwischenfälle unternahm.

“Man müsste …“ – Werbefilm von BMW für die neue Isetta.

Neben der anvisierten Kundschaft stiegen auch viele Motorradfahrer auf eine Isetta als wettergeschützte Alternative um, denn für Fahrzeuge bis 250 Kubikzentimeter Hubraum benötigte man noch keinen Autoführerschein. Diese Nische bedienten zur gleichen Zeit auch das Goggomobil und der Messerschmitt Kabinenroller.

Technik und Modellgeschichte

Nach heutigen Maßstäben bietet eine Isetta eine sehr überschaubare Technik. Aufgrund des geringen Gewichts kann man mit einer Isetta 250 eine Höchstgeschwindigkeit von 85 Stundenkilometern erreichen. Sie bewältigt Steigungen bis zu 30 % und kann sogar bis zu 220 kg schwere Anhänger oder Wohnwagen ziehen. Eine wichtige Eigenschaft, wenn man bedenkt, wie wenig Platz für Gepäck sonst zur Verfügung steht. Beim Transport längerer Gegenstände kommt das serienmäßige Faltdach dem Isetta-Fahrer sehr zugute. Es ist zugleich Notausstieg, wenn sich die Tür bei einem Frontschaden nicht mehr öffnen lässt. Bei einem Verbrauch von 3,45 Litern (Werksangabe bei 57 Stundenkilometern) reicht der 13 Liter fassende Tank für bis zu 400 Kilometer.

BMW Isetta
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Da hinter der Sitzbank auch noch der Motor Platz finden muss, wird Gepäck gerne Huckepack genommen.

Fahrtechnisch ist die Isetta etwas ungewohnt: Die Spindellenkung ist vergleichsweise indirekt und im Gegensatz zu einem „normalen“ PKW sind Schalthebel und Handbremse links angeordnet. Der Einstieg in die kleine Fahrgastzelle gelingt wegen des mit der Tür aufklappenden Armaturenbretts und der mitschwenkenden Lenksäule aber problemlos.

BMW Isetta
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Einsteigen leicht gemacht: Armaturen und Lenksäule klappen mit der Tür zur Seite.

Hatte man zur Markteinführung noch die eiförmige Karosserie vom Iso-Vorbild übernommen, so überarbeitete BMW die Isetta bereits im folgenden Jahr. Im Oktober 1956 erschien die Isetta Export mit einer modifizierten Karosserie. Die Dachlinie ist im Stil eines Coupés durchgezogen, das Auto wirkt schlanker und stärker gestreckt. Einige Detailverbesserungen erhöhen den Komfort. Anstelle der bisherigen dreieckigen Ausstellfenster gibt es Schiebefenster und die Frontstoßstange ist nun über die gesamte Fahrzeugbreite gezogen. Anstelle von Plexiglas ist das verkleinerte Heckfenster aus Sicherheitsglas ausgeführt. Die alte Version wurde noch einige Monate als „Isetta Standard“ zu einem günstigeren Preis angeboten. Als Varianten der neuen Isetta-Generation hatte BMW ein Cabrio mit einem Verdeck anstelle der Heckscheibe und eine Lastenversion mit einer Ladefläche im Programm. Ihre Nutzlast beträgt immerhin 250 kg.

Neben den Modellen für den deutschen Markt gab es auch modifizierte Versionen für andere Märkte. BMW hatte von Iso Rivolta unter anderem die Lizenz für Skandinavien, Österreich und die Schweiz bekommen. Eine dreirädrige Version war in Österreich und in der Schweiz als Motorrad steuerlich begünstigt. Für den US-amerikanischen Markt entwarf man größere Stoßfänger, größere „Sealed Beam“-Scheinwerfer und größere Rückleuchten. Kurios ist eine „Tropenversion“, die zusätzlich regulierbare Belüftungsöffnungen in der Fronttür hat. Lizenznachbauten gab es auch in anderen Ländern, beispielsweise die Isetta of Great Britain („Brighton-Isetta“), die Vélam-Isetta in Frankreich oder die Romi-Isetta in Brasilien. Sie waren am Markt allerdings nicht ansatzweise so erfolgreich ihr BMW-Pendant.

Isetta 3-wheeled
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Steuerlich gesehen ein Motorrad: Die „Dreirad-Isetta“.

Das Ende der Knutschkugel

Mit fast 40.000 verkauften Einheiten erreichte die Isetta 1957 ihr bestes Jahr. Danach ging der Absatz bis zum Produktionsende 1962 stetig zurück. Modellpflegemaßnahmen und Sonderausstattungen halfen nicht mehr, den Absatz wieder anzukurbeln. Der technischen Entwicklung im Automobilsektor hatte das einfache Gefährt nichts mehr entgegenzusetzen. Immerhin hatte BMW zwischen 1955 und 1962 aber weltweit 161.728 Isettas absetzen können, ungefähr 130.000 davon in Deutschland. Mehr Einheiten wurden nur vom nicht minder beliebten Goggomobil verkauft.

BMW Isetta 300 interieur
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Spartanisch eingerichtet: eine Isetta von Innen.

Mittlerweile waren die Ansprüche der Käufer an Kleinwagen gestiegen. BMW entwickelte die Isetta deshalb zum Viersitzer weiter. Mit einem längeren Stahlrohrrahmen und einer auf Normalmaß verbreiterten Schräglenker-Hinterachse kam bereits Ende 1957 der 2,90 m „lange“ BMW 600, der ebenfalls von einem BMW-Motorradmotor im Heck angetrieben wird. Seine Karosserie ähnelt sehr dem Vorgängermodell, verfügt aber aus Stabilitätsgründen neben der Front- auch über eine Seitentür. An den Erfolg der Isetta konnte der 600er nicht anknüpfen. Mit 3.985,- DM war er teurer als ein Standard-Käfer und wurde bereits zwei Jahre später nach 35.000 produzierten Exemplaren zugunsten des BMW 700 eingestellt, der endlich wie eine echte Limousine aussah. Die Isetta war zu diesem Zeitpunkt immer noch im Programm.

Die BMW Isetta – Fahrbericht von Leopold Prinz von Bayern.

Auferstehung eines Kultautos

Als Oldtimer ist eine BMW Isetta heute weit von ihrem Anspruch entfernt, ein preiswertes Auto für jedermann zu sein. Ein gutes Exemplar kostet nämlich mittlerweile gerne 20.000,- €. Da trifft es sich gut, dass voraussichtlich im kommenden Jahr mit dem Microlino der Mythos Isetta als Elektroauto wiederbelebt werden soll. Die Schweizer Micro Mobility Systems AG hatte bereits 2016 eine Studie auf dem Genfer Autosalon vorgestellt, die bei Artega im westfälischen Delbrück gebaut werden sollte. Aktuell arbeitet man mit dem italienischen Partner Cecomp zusammen. Für die „Elektro-Isetta“ Microlino liegen bereits 16.000 Reservierungen vor.

Microlino 2019
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Mit dem Microlino kommt hoffentlich das Isetta-Feeling zurück.