03.08.2019

Sommerklassiker Teil 3: Fiat 500 Jolly

Wer das Strandmobil Fiat 500 Jolly zum ersten Mal sieht, weiß sofort, dass der Name Programm ist. Lustig kommt der kleine italienische „Joker“ mit Fransendach und Korbstühlen auf jeden Fall daher. Ende der 1950er-Jahre schlug das Auto vor allem bei den Reichen und Schönen dermaßen ein, dass wir dem Oldtimer den letzten Teil unserer Serie „Sommerklassiker“ widmen wollen.

Ein Auto wie ein Bikini – Wie Fiat das Strandauto erfand

Strandautos gibt es nicht erst seit Ende der 1960er-Jahre, als die bekannten französischen Sommerklassiker Citroën Méhari und Renault 4 Plein Air die Côte d’Azur im Sturm eroberten. Schon 1956 startete in Italien die automobile Oben-Ohne-Saison, als der Karosseriespezialist Pininfarina auf Basis des Microvans Fiat Multipla den Fiat 600 Eden Roc vorstellte. Der wie ein Motorboot anmutende Wagen ohne Türen und Verdeck mit einer u-förmig umlaufenden Rücksitzbank aus Holz zeigte bereits, worauf es bei einem Strandauto ankommt: Es muss unkonventionell sein und auffallen, denn so etwas leisteten sich in den 1950er-Jahren nur die Superreichen. So war beispielsweise der amerikanische Automogul Henry Ford II. so von dem Konzept begeistert, dass er sich einen Eden Roc nach Amerika bestellte.

Es wird erzählt, dass Fiats damaliger Vizepräsident Gianni Agnelli, der den Ruf eines Lebemannes hatte, eine Möglichkeit suchte, stilvoll von seiner Luxus-Yacht „Agneta“ zum Hotel oder zur Bar zu kommen. Da Laufen für ihn nicht in Frage kam, entwickelte er die Idee eines kleinen Strandautos, das er bei Carrozzeria Ghia in Turin in Auftrag gab. Da Agnelli sein Strandauto auf seiner Yacht mitnehmen wollte, die „Agneta“ aber nur 25 Meter lang war und entsprechend wenig Platz für solche Extravaganzen bot, kam als Basis nur der erst im Juli 1957 vorgestellte Fiat Nuova 500 in Frage.

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Knapp wie ein Bikini: Der 500 Jolly von Fiat.

Zu dieser Zeit war gerade der Bikini in Mode gekommen. Ghias Chefdesigner Sergio Sartorelli schuf ein Strandauto, das ebenfalls nur das Nötigste bedeckte und wie der Eden Roc für die Schönen und Reichen gedacht war, die sonst schon alles hatten: Yacht, Strandvilla, nur eben kein Strandauto. Er entfernte Dach und Türen und kürzte die Frontscheibe. Da die Karosserie des kleinen Fiats selbsttragend war, musste die Stabilität nun mangels Dach auf andere Weise gewährleistet werden. Dafür wurden Verstärkungen sowohl über als auch unter dem Blech angebracht und mit Blei vergossen. An den Seiten gab es verchromte Haltestangen für die Passagiere. Dort, wo Agnelli mit seinem neuen Strandmobil gesehen werden wollte, waren Schlechtwettereinsätze eher unwahrscheinlich. Daher hielt man sich bei Ghia auch nicht lange mit einem Verdeck auf. Ein Baldachin mit einer Fransenborte an dünnen Stangen war lediglich als Sonnenschutz gedacht. Dazu passen auch die anstelle der serienmäßigen Sitze eingebauten Korbstühle. Auf ihnen konnte man auch mit nassen Badesachen auf dem Weg zum Strandcafé sitzen. Antriebstechnisch gesehen unterschied sich das neue Modell nicht von der Basisversion des 500ers. Im Heck werkelt bei beiden der gleiche 15 PS starke, luftgekühlte 479-Kubkzentimeter-Zweizylindermotor. Auch das Fahrwerk blieb serienmäßig. Das neue Strandmobil wurde unter dem Namen „Jolly“ im November 1957 auf dem Turiner Autosalon vorgestellt und erregte sofort die Aufmerksamkeit betuchter Kaufinteressenten, sodass Fiat 1958 zunächst eine Kleinserie auflegte. Später erhielt es den liebevollen Spitznamen „Spiaggina“ (Liegestuhl), denn man konnte damit an den Strand fahren und zum Sonnen direkt im Korbstuhl sitzen bleiben. Aufgrund des geringen Leergewichts von nur 520 kg ist Sand als Terrain auch kein Problem für den Jolly. Außerdem finden sich bei so einem Hingucker notfalls immer Helfer zum Schieben.

Ein Spielzeug für die oberen Zehntausend

Die ersten Jollys fanden allesamt namhafte Abnehmer. Der Jetset der 1950er-Jahre hatte mindestens einen im Fuhrpark. Der griechische Reeder Aristoteles Onassis kaufte sogar gleich drei, schließlich hatte er ja auch mehrere Yachten, um sie zu verteilen. Zum illustren Kreis der Jolly-Fahrer gehörten auch Schauspieler wie Yul Brunner, John Wayne und Mae West, Fürstin Gracia Patricia von Monaco, der italienische Politiker Enrico Berlinguer oder der Industrielle Silvio Berlusconi. Selbst US-Präsident Lyndon B. Johnson hatte einen Jolly auf seiner texanischen Ranch. Diese Leute konnten sich das Vergnügen ohne Zweifel leisten. Immerhin war der Jolly in den USA doppelt so teuer, wie das Standardmodell. In Deutschland kostete der Wagen 5.000 DM, mehr als ein VW Käfer. So erklärt sich, warum der Jolly seinen Weg vorwiegend an die mondänen Strände in Europa und Übersee fand.

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JOHN LLOYD from Sedro Woolley, Washington, United States; minor modifications by uploader Mr.choppers, Fiat 500 Ghia Jolly, CC BY 2.0

Den Jolly gab es in vielen strandtauglichen Farben.

Spätestens bei einer Probefahrt zeigt sich, dass der pfiffige kleine Strandwagen nicht nur ein echter Hingucker, sondern auch echter Luxus ist. Er ist nämlich schlichtweg nicht alltagstauglich und ein solches Auto muss man sich zusätzlich leisten können. Die Korbsitze gehören definitiv in die Kategorie „spartanisch“. Sie sind dermaßen hart, dass man vom Strand kommend nur zu gerne sein Badelaken unterlegt. Bei höherer Geschwindigkeit, immerhin etwa 100 Stundenkilometer sind mit dem kleinen Zweizylinder drin, zieht es durch die offene Karosserie ganz erbärmlich, zumal die gekürzte Frontscheibe für größere Fahrer keinen ausreichenden Windschutz bietet. Noch luftiger und unbequemer ist nur noch Fahrrad fahren. Aber mal ganz ehrlich: Wen stört das alles, wenn man bei 30 Grad an der Riviera vom Strand zum Bistro fährt und bewundernde Blicke für das kleine Auto auf sich zieht. Dann hat man einfach Spaß auf engstem Raum.

Unterwegs mit dem Jolly und anderen Klassikern

Nachdem die erste Kleinserie so gut beim Publikum angekommen war, legte Ghia verschiedene Jolly-Varianten nach. Neben dem auf dem Modell 500 basierenden Jolly gab es beispielsweise ab 1959 auch einen Fiat 600 Jolly als Sechssitzer auf dem Multipla-Fahrgestell, bei dem die hinteren Sitze gegenüberliegend eingebaut sind. Eine weitere Version entstand auf Basis der Kombiversion 500 Giardinera. Die längere Karosserie ermöglichte einen zusätzlichen Kofferraum hinter den Rücksitzen.

Oldtimer mit Seltenheitswert

Auch nach über 60 Jahren ist eine Fahrt in einem Jolly ein exklusives Vergnügen. Das liegt vor allem daran, dass das Auto heute eine absolute Rarität ist. Unter den zwischen 1957 bis 1977 über 3,7 Millionen gebauten Nuovo 500 waren nur etwa 700 Jollys, von denen heute noch etwa 100 erhalten sind. Als restaurierte Klassiker sind sie immer öfter auf Auktionen anzutreffen und haben in den letzten Jahren Preise zwischen 40.000 bis 50.000 Euro erzielt. Damit sind sie mehr als doppelt so teuer wie ein Basismodell in gutem Zustand. Hinzu kommt noch eine problematische Ersatzteilversorgung. Während Teile für einen normalen 500er noch gut zu bekommen sind und damit auch alles Technische vom Motor über das Getriebe bis hin zu den Bremsen beim Jolly gut zu warten ist, sieht es mit „Jolly-exklusiven“ Teilen schwierig aus. Die gekürzte Frontscheibe beispielsweise muss man sich anfertigen lassen. Wer aber auf seiner Yacht Platz für einen Jolly hat, der meistert auch dieses Problem.

Der Klassiker kehrt zurück

Zum 60. Geburtstag des Fiat 500 Jolly hat der italienische Autobauer es sich nicht nehmen lassen, zwei Sondermodelle als Hommage an unseren Sommerklassiker aufzulegen, die den Spitznamen des Ur-Jollys „Spiaggina“ tragen. Auf Basis des ab 2007 wieder unter der alten Modellbezeichnung „500“ erhältlichen Nachfolgers des Fiat Seicento gibt es den auf 1958 Einheiten limitierten „Spiaggina ‘58“, der als Studie ein richtiges Verdeck und einen Erdbeerkörbchenbügel wie beim Golf 1 Cabriolet hatte, aber als Serienmodell leider nur mit einem großen Faltschiebedach wie beim regulären 500 C ausgestattet ist.

Daneben hat Fiat zusammen mit Garage Italia Customs und Pininfarina als „Spiaggina“ noch einen Zweisitzer mit gekürzter Windschutzscheibe und ohne Dachaufbau vorgestellt. Er ist ein echtes Spaß- und Strandauto mit einer Lounge mit Korkboden im Heck und einer 20-Liter-Bootsdusche, damit man sich nach dem Strandaufenthalt schnell frisch machen kann. Damit hat der „Spiaggina“ auf jeden Fall das Zeug, nach 60 Jahren ebenfalls ein Sommerklassiker zu sein.

Nach 60 Jahren endlich wieder ein richtiger Jolly … nur die Korbsitze und das Fransendach fehlen.